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Wenn Videospiele
Literatur adaptieren

Große Werke der Buchgeschichte als interaktive „Experience“? Kann gut gehen, muss es aber nicht. Eine gewisse Faszination hat es allemal.

Sich mit einem guten Buch zurückziehen und die eigene Vorstellungskraft vom Fluss des geschriebenen Wortes leiten lassen? Kann man machen; oder als Alternativmedium Videospiele wählen. Literaturadaptionen, die einen zum Schlauberger werden lassen, gibt es auch dort.

 

Videospiele sind heute ein absolutes Massenphänomen, wie ihre Absatzzahlen beweisen. Und die Bedeutung von Games für die Kulturlandschaft geht weit über schnöden Profit hinaus. Ihre Interaktivität bietet auch spannende Wege, das Publikum in den Bann zu ziehen und so eine neue Art von Kunst zu erschaffen. Unkenrufe, die dabei laut werden, erinnern an die kritischen Stimmen im 18. und 19. Jahrhundert, für die Romane lesen als Sittenverfall galt.

 

So ist es kein Wunder, wenn Spiele-Entwickler große Werke der Literatur adaptieren. Das gelingt mal mehr, mal weniger gut.

(Keine) Panik bei „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy”

Früher, als die Rechenleistung von Computern nur knapp oberhalb der Kuckucksuhr lag, dominierten sogenannte Textadventures die Branche. Das Spielgeschehen wurde in Textabschnitten dargereicht („You are likely to be eaten by a grue“). Wer seine Spielfigur anweisen oder Rätsel lösen wollte, tippte grobe Befehle per Tastatur ein: „Gehe Norden“, „Benutze Schlüssel in Tür“ etc. Da diese Gattung ohnehin als „interaktive Fiktion“ bezeichnet wurde, lag es nahe, diverse Romane zu adaptieren. Und weil Computerspiele-Entwickler seit je her verdammte Nerds waren, erschien 1984 beispielsweise die Videospielvariante des Sci-Fi-Satireklassikers „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams (1952-2001).

 

Das Adventure behält den britischen Charme und die Scharfzüngigkeit des Originals, würzt die Handlung aber mit zahl- und einfallsreichen Methoden, vorzeitig den Löffel abzugeben. Berühmt – oder eher: berüchtigt – wurde es dank seiner besonders schweren, weil abstrusen Rätsel. An denen lässt sich erahnen, wie frei frühe Spiele-Entwickler „Logik“ zu interpretieren vermochten. Beweis nötig? Hier kann man das Textadventure „The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ auf Englisch im Browser spielen.

Game in den Wäldern mit „Walden, a Game“

Für Leute, die mit dem Begriff „Transzendentalismus“ etwas anfangen können, ist der autobiographische Roman des Philosophen Henry David Thoreau (1817-1862) entweder tiefsinnige, lyrische Kunst oder ein absolutes Schnarchfest in Schriftform. Ideale Voraussetzung für ein Videospiel also!

Kurzfassung für alle, die an der Uni statt amerikanischer Literatur was Vernünftiges studiert haben: Thoreau erzählt in „Walden“ von seinen zwei Jahren des alternativen, abgeschiedenen Lebens in einer Blockhütte am See „Walden Pond“. Entsprechend werktreu-beschaulich geht es auch im Spiel „Walden, a Game“ zu: Man durchlebt insgesamt acht Jahreszeiten, sammelt Holz und Beeren, geht angeln und baut sich nach und nach seine Holzhütte zusammen. Wirklich viel passiert nicht in „Walden, a Game“, was allerdings nur für die Werktreue dieser Adaption spricht.

Alles Sense mit „Dante‘s Inferno“

Das Opus Magnum von Dante Alighieri (1265-1321) gilt als einer der wichtigsten Einträge der Literaturgeschichte. Kein anderer Text nach der Bibel prägte so sehr das Bild des Menschen vom Jenseits. Die Verse wirken bis heute in Darstellungen von Himmel und Hölle nach. Wie aber überträgt man Alighieris Kulturschatz feingeistig in ein interaktives Medium?

Ganz einfach: Dante ist jetzt ein BADASS KREUZRITTER. Mit einer Sense schnetzelt er sich durch die Hölle, um seine Geliebte zu retten. In den Weg stellen sich ihm dabei Dämonen, der Satan, eine riesige halbnackte Cleopatra und vieles mehr. Eventuell ging es dem Spielestudio hier doch weniger um das Vergängliche des menschlichen Daseins und mehr um simple Schockeffekte.

Fazit: Das kultiviert geschriebene Wort lässt sich offenbar leichter in Spielfilme als in Spielmechaniken verwandeln. Und im Unterschied zu klassischen Hollywood-Produktionen entwickeln Videogames selbst dann eine ganz eigene Faszination, wenn sie in ihrer Adaption versagen.

Autor

Lars Weitbrecht

Berater Content & PR

E-mail: lars.weitbrecht@wortwerkstatt.de

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