Vorübergehende
Erscheinung

Kaum etwas ist spannender als die Zukunft. Das bekommen wir gerade beim Thema Auto und Mobilität handfest mit. Doch Vorsicht: Manchmal sind Visionen und Prognosen viel zu stark von der Gegenwart geprägt.

Ende der 1980er Jahre fand ich in einem Antiquariat ein Buch mit dem ansprechenden Titel „Ihr werdet es erleben: Voraussagen der Wissenschaft bis zum Jahre 2000“. Einer der Autoren war der US-Futurologe Herman Kahn, erschienen war das Werk 1970. Der Inhalt des Buchs war aus meiner damaligen Perspektive also knapp zwanzig Jahre alt, beschrieb aber die Zeit, die für mich zwanzig Jahre in der Zukunft lag. Das versprach doppelt spannend zu werden.

Roboterwichtel für die Hausfrau?

War es leider nicht. Es ging um: Atomkraft, eine Wissenschaft namens „Kybernetik“, Schwerindustrie, Hochhaus-Wohnparks, holografisches TV in 3D. Das alles roch irgendwie nach den 1970ern. Jeder Haushalt, so eine der Prognosen, würde bald mit einem Roboter ausgestattet sein. Grund: Die „Hausfrau“ müsse entlastet werden – und wer sonst sollte dann Waschmaschinen und Staubsauger bedienen? Das klang mir dann doch zu sehr nach Loriot-Sketch („Es saugt und bläst der Heinzelmann …“)

Spaßfaktor Fehlprognosen

Nun gibt es ja jede Menge Prognosen echter oder vermeintlicher Experten, die im Nachhinein lächerlich wirken: Besucher des Mercedes-Benz-Museums schmunzeln zu Beginn der Ausstellung über die dort gut sichtbare Aussage des deutschen Kaisers Wilhelm II., der das Automobil für eine „vorübergehende Erscheinung“ hielt. Der Chef der damaligen Lochkarten- und Schreibmaschinen-Firma IBM sah 1943 langfristig einen Bedarf für etwa fünf Computer weltweit. Bill Gates gab 1981 zu Protokoll, dass ein Arbeitsspeicher (RAM) von 640 KB wohl für alle denkbaren Software-Anwendungen ausreichend sei. Jahre später setzte er noch einen drauf und hielt das Internet für einen überschätzten Hype. Diese und noch viel mehr Beispiele sind übrigens nachzulesen in einer netten Sammlung von Norbert Golluch.

 

Allerdings: Durch derlei Dönekes lässt sich die wissenschaftliche Zukunftsforschung, für die Herman Kahn stand, nicht diskreditieren. Damals wie heute stellt sie gesellschaftliche Trends in den Mittelpunkt ihrer Prognosen, die eigentlich schon wirksam, stabil und tragfähig sind. Aus heutiger Sicht wären das die Endlichkeit fossiler Energieträger, das Bevölkerungswachstum großer Städte (Urbanisierung), die weltweite Verflechtung von Kommunikation und Wirtschaftsstrukturen (Globalisierung), der demografische Wandel, die Digitalisierung und und und.

Wie genau wollen wir es wissen?

Stellt sich nur die Frage: Wie detailliert, wie „hochaufgelöst“ können Zukunftsprognosen sein? Kahn hat sich mit seinem „Roboter“-Haushalt aufs Glatteis begeben. Die Trends, auf die er sich bezog (Gleichberechtigung der Geschlechter und Automatisierung) haben sich ja trotzdem als stabil erwiesen und sind immer noch aktuell (Stichwort Industrie 4.0). Nur der Schluss, den er gezogen hat, war etwas zu plump.

Und so könnte es wieder sein, dass sich manch viel diskutierte konkrete Zukunftserwartung bald als zu blauäugig herausstellt. Auch im Automobil. Klar, die „Always-on-Generation“ hat keine emotionale Bindung zu Hubraum und Drehmoment mehr, aber durchaus das Bedürfnis nach Mobilität. Aber führt das zwangsläufig zum vollautonomen Fahren auf allen Strecken? Reicht es vielleicht, wenn auf der Autobahn das Kommando über das Steuer nur zeitweise abgegeben wird? Oder wird irgendwann die Deutsche Bahn pünktlich? Oder die Mitfahrzentrale hip (Uber lässt grüßen)? Nächste Frage: Gehen die Vorstellungen vom Fahrzeuginterieur als einer Art „mobiler Sofa-Ecke“ in der sich „Quality Time“ im Kreise der Lieben verbringen ließe, nicht zu sehr vom gegenwärtigen Statusverhalten der Autobesitzer aus? Möglicherweise sind ja die Anhänger der Sharing-Kultur pragmatischer und zu Kompromissen bereit – und verbringen „Quality Time“ im Fernbus.

Damit will ich nicht zurück zur vormodernen Sichtweise, dass Zukunft unvorhersehbar und irgendwie eine Form von Schicksal ist. Wir sollten aber auch nicht so tun, als hätten wir mit der Zukunfts- und Trendforschung einen präzisen Laserpointer zur Hand, der uns jedes Detail aus dem Jahr 2050 zeigt. Wenn wir in die Zukunft blicken, sehen wir einen Horizont und vielleicht noch ein paar schattenhafte Umrisse. Wenn wir ansonsten flexibel genug sind, sollte das für den Moment genügen.

Autor

Andreas Neemann

Senior Berater Content & PR

E-mail: andreas.neemann@wortwerkstatt.de

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