Viel Lärm
um die 130er-Zone
Brauchen wir ein allgemeines Autobahn-Tempolimit? Wieviel Speed tut der Umwelt gut, der Verkehrssicherheit und dem Auto „made in Germany“? Eine subjektive Momentaufnahme.
Der Wunsch nach Freiheit und Selbstverantwortung steht auf der einen Seite. Und auf der anderen die Forderung nach Reglementierung, damit keiner rücksichtslos machen darf, was er will. So flammt die Diskussion ums Heizen auf deutschen Autobahnen wieder hitzig auf. Der Streit tobt bereits im fünften Jahrzehnt. Eventuell können nüchterne Zahlen Ruhe und Sachlichkeit in die Auseinandersetzung bringen?
Vielfalt auf dem Datenhighway
Kurz vorweg: Die fundiert-wissenschaftliche Analyselage zum Thema ist tendenziell dünn. Statistiken, die Geschwindigkeit und Unfallereignisse zusammen beleuchten, gibt es aber. Ein Vergleich des European Transport Safety Council etwa weist für Deutschland durchschnittlich 1,9 Getötete pro Milliarde zurückgelegter Autobahn-Fahrzeugkilometer aus (siehe Diagramm). Damit liegt die Bundesrepublik im unteren Mittelfeld, kommt auf dieselbe relativ niedrige Zahl wie Norwegen. Dort gilt Tempo 90.
Der Spiegel schaute nochmal genauer hin, kalkulierte für Deutschland – anstelle der allgemeinen 1,9 Getöteten pro Milliarde Autobahnkilometer – das Folgende: 0,95 Opfer auf Strecken mit Limit und 1,65 auf Abschnitten ohne. „Bis zu 140 Todesfälle jährlich“, so das redaktionelle Fazit, könnte ein generelles Limit deshalb verhindern.
Ein anderer Spiegel-Bericht referiert auf eine Auswertung des Statistischen Bundesamts für 2018. Als Hauptgrund für Unfalltote auf der Autobahn benennt dieser Geschwindigkeit, die nicht den Bedingungen angepasst ist. Erstaunlich dabei: Auf Abschnitten mit Limit sei diese für 50 Prozent der tödlich Verunglückten mitverantwortlich; auf unlimitierten Strecken aber für etwas weniger, nämlich 45 Prozent.
Weitere Argumente pro oder contra freies Fahren trug ein F.A.Z.-Artikel zusammen: So berechnete der Deutsche Verkehrssicherheitsrat anhand von 2013er-Zahlen, dass auf Autobahnstrecken ohne Geschwindigkeitsbegrenzung 30 Prozent mehr Menschen getötet werden als auf „limitierten“. Dass dort in Deutschland weder mehr noch schwerere Unfälle passieren, sagt laut demselben F.A.Z.-Bericht der ADAC. Apropos Autobahnunfälle aller Art: Die passierten laut Spiegel auf freien Abschnitten sogar seltener (71,4 Crashs pro Milliarde km gegenüber 79,9 bei Tempolimit).
C02-Einsparungen sind zu erwarten
Was bedeutet es für den Kraftstoffverbrauch beziehungsweise die daraus resultierenden CO2-Emissionen, wenn die Bundesrepublik zur „130er-Zone“ wird? Zunächst eine globale Einordnung: Deutschland trägt – je nach gefundener Datenquelle – mit insgesamt 2 bis 2,5 Prozent zum weltweiten Kohlendioxidausstoß bei. Rund ein Fünftel dieser Hundertstel wiederum geht auf den deutschen Verkehr zurück. Unter aktuellen Voraussetzungen sparte „130“ rechnerisch rund 1,6 Prozent. Das Tempolimit ließe den Verkehrsanteil am nationalen CO2-Ausstoß demnach von 20,8 Prozent auf 19,2 Prozent sinken.
Vollgas reizt nur wenige
Mit Überraschendem wartete die österreichische Asfinag (Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft) auf: Auf zwei Autobahnabschnitten (zusammen 120 Streckenkilometer) wurde die geltende Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h nicht gesenkt, sondern in einem – bald endenden – Pilotprojekt auf 140 km/h angehoben.
Dadurch stiegen die Kohlendioxid- und Stickoxid-Emissionen um ein bis zwei Prozent. Die Feinstaubwerte aber blieben gleich. Und die Unfallzahlen sanken laut Asfinag im Schnitt sogar. Tatsächlich hätten die Autofahrer die neuen Speed-Optionen gar nicht ausgenutzt, fuhren im Schnitt bloß zwei bis vier Stundenkilometer flotter als vorher.
In Deutschland lässt laut Auswertungen nur jeder Dritte die Tachoanzeige bei freier Bahn auf mehr als 130 km/h klettern. Und lediglich 10 Prozent der Lenker fahren mehr als 150 km/h. Nicht jeder, so scheint es, will die Geschwindigkeitsgrenzen des Machbaren auskundschaften.
Nichts ist umsonst
Was lässt sich aus all dem schließen? Gegner des Tempolimits können sagen, die Effekte sind wahrscheinlich geringer, als die Kontoverse suggeriert. Sie könnten fragen, warum man freiwillig diesen „USP“ und Automobilmythos des freien Fahrens aufgeben will, der jeden deutschen Pkw weltweit oft ein Stück weit mit verkauft. Es führen doch sowieso nicht viele richtig schnell. Und ganz ohne Risiko sei ohnehin gar nichts.
Befürworter können argumentieren, dass jedes einzelne besser geschützte Leben zählt, jedes Todesopfer eines zu viel ist. Sie sehen darin zudem eine vergleichsweise einfache Maßnahme, die Umwelt effektiv zu entlasten. In diesem Fall läge der Fortschritt also tatsächlich in der Einschränkung.
Wahrscheinlich aber wäre die gesamte Diskussion überflüssig, führe jeder bereits von sich aus so, wie sich viele den Start ins neue Jahr ausgemalt haben: vorausschauend, entspannter, umweltbewusster, mit genügend Reserven und viel Spaß.