Kollateral-Erkenntnisse
aus Auto-Museen
(Teil 1)
Bei nĂ€herer Betrachtung faszinieren in Automuseen oft nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Geschichten, die nur noch am Rande damit zu tun haben. Diese Storys bringen wir in Serie: zum Auftakt eine ĂŒber die CitĂ© de lâAutomobil in Mulhouse.
Wer ein Automuseum besucht, erwartet Faszination auf vier RĂ€dern. Beim intensiveren Blick in verborgene Ecken finden sich dort oft auch Geschichten, die nur am Rande mit der automobilen Fortbewegung zu tun haben. Sie bieten Stoff satt fĂŒr eine Serie â zum Auftakt: die CitĂ© de lâAutomobil im elsĂ€ssischen Mulhouse.
Was mir von der Sammlung Schlumpf â korrekt: der CitĂ© de lâAutomobil im elsĂ€ssischen Mulhouse â nachhaltig in Erinnerung geblieben ist? Genau zwei Dinge, und sie haben (fast) nichts mit dem Automobil zu tun: Da geht es einmal um den Niedergang der Textilindustrie in Europa und ein andermal um die Macht von Markenzeichen.
Die Spinner aus der Spinnerei
Wer das Museum besucht, diese gröĂte Garage der Welt, dem strömt schon gleich nach dem Betreten der charakteristische Geruch aus Ăl, Metall und altem Leder entgegen. In einem unscheinbaren Eckchen, etwas abgelegen vom Besucherstrom, spielt ein Monitor in Endlosschleife Videosequenzen zur ungewöhnlichen Geschichte der Sammlung Schlumpf ab. Um ein Haar hĂ€tte es das Museum nĂ€mlich gar nicht gegeben. Und das kam so: Fritz und Hans Schlumpf, zwei Textilindustrielle aus dem ElsaĂ, hatten ein kostspieliges Hobby. Die beiden BrĂŒder kauften Oldtimer. Aus heutiger Sicht unschĂ€tzbare Werte, darunter ĂŒber 100 historische Fahrzeuge der Marke Bugatti, rollten so seit 1961 in eigens leer gerĂ€umte Lagerhallen unweit der Wollspinnerei HKD nahe Mulhouse. Auf der Payroll der Firma fanden sich auch Restauratoren, die baufĂ€llig gewordene Karossen nach allen Regeln der Kunst wieder instand setzten. Als Journalisten von der ursprĂŒnglich rein privaten Sammlung Kenntnis bekamen und die Presse darĂŒber berichtete, stieg das Interesse. Fritz Schlumpf reagierte mit einem Plan, die Sammlung zum Museum auszubauen. Das ging wohl nicht ganz, ohne das operative GeschĂ€ft der Firma zu belasten. Immerhin hĂ€tte die Wollspinnerei just in dieser Zeit viel Kapital gebraucht, um sich gegen die Krise der Textilindustrie in Europa zu stemmen. Doch ohne modernste Maschinen und ohne Standorte im Ausland wurden die Fabriken im ElsaĂ schnell unrentabel. 1976 kam die Insolvenz. 200 Angestellte und Arbeiter wurden ĂŒber Nacht arbeitslos â und hĂ€tten sich schier an der Oldtimer-Sammlung âgerĂ€chtâ.
Weil sich die BrĂŒder Schlumpf in die Schweiz abgesetzt hatten, fackelten wĂŒtende Demonstranten in Mulhouse einige der historischen Fahrzeuge ab. Wenig spĂ€ter stritten Juristen um die Frage, ob die noblen Karossen zur Konkursmasse zu zĂ€hlen und zu verkaufen seien. Doch die Sammlung ĂŒberstand die Krise. âToo big to failâ galt in diesem Fall nicht fĂŒr die Firma der GebrĂŒder Schlumpf, sondern fĂŒr die mit den Firmengewinnen ersteigerte, weltweit einmalige Fahrzeugsammlung.
Meister Lampe als Markenbotschafter?
Im Eingangsbereich, noch bevor man zu den Autos kommt, steht eine Wand mit historischen KĂŒhlerfiguren. Was man heute fĂŒr die Markenzeichen des Automobilbaus hĂ€lt, war um 1900 oft noch ein StĂŒck Kundenservice: Mancher Hersteller lieĂ seine Kunden wĂ€hlen, welches ikonische Tier sie mit ihrem Wagen dem Publikum prĂ€sentieren wollten. So erklĂ€ren sich all die HĂ€hne, Eichhörnchen und Schildkröten, die dort sowie in der nachfolgenden Bildergalerie als KĂŒhlerfiguren zu sehen sind.
Egal ob er nun tanzt oder sich aufbĂ€umt: Die Elefantenskulptur, die Ettore Bugatti von seinem Bruder (einem KĂŒnstler mit Vornamen Rembrandt) geschenkt bekam, zierte als Silberabguss jeden der insgesamt nur sieben Bugatti Royale.
Andere Hersteller lieĂen Kunden in der FrĂŒhzeit des Automobilbaus mitunter sogar frei wĂ€hlen, was den KĂŒhler schmĂŒcken soll: die tierische Artenvielfalt reichte somit von Eichhörnchen (Spekulation: links fĂŒr aggressiven und rechts fĂŒr defensiven Fahrstil) âŠ
âŠ ĂŒber HĂ€hne vermutlich fĂŒr kĂ€mpferische FrĂŒhaufsteher âŠ
⊠und Schildkröten als eventuelles Symbol fĂŒr Sicherheit oder fortgeschrittenes Fahreralter (beim Sportwagenbauer Delage) âŠ
⊠bis hin zu Hasen, die ihre Lauscher möglicherweise wegen bedrohlicher MotorgerÀusche aufstellen (zwischen 1920 und 1930 Serie beim Oberklassehersteller Alvis).
Andere Hersteller wie Mercedes, Rolls Royce und Bugatti begriffen die Chance, die sich an diesem prominenten Platz fĂŒr die Markenbildung bot: Sie setzten von Anfang an modellĂŒbergreifend auf ein wiedererkennbares Markenzeichen: den Stern, die Emily (bzw. âSpirit of Ecstacyâ) und im Fall Bugatti einen Elefanten, von dem die Fachwelt bis heute rĂ€tselt, ob er sich aufbĂ€umt oder âtanztâ. Wer erinnert sich heute noch an Alvis und Delage? Und wer kennt Bugatti, Rolls Royce und Mercedes? Vielleicht liegt das ja an der frĂŒh und konsequent ergriffenen Chance zur Markenbildung?