IAA 2019:
Die Messe ist
noch nicht gelesen

Die 68. Auflage der Internationalen Automobil-Ausstellung für Pkw ließ Fragen offen. Die wahrscheinlich Wichtigste: Wie kann Mobilität die Massen wieder positiv in den Bann ziehen?

Jahrzehntelang war die IAA in Frankfurt das Hochamt fürs Automobil, die Infobörse der Neuwagenjäger, eine (T)Raumstation für Autofans. In diesem Jahr bedeutete die IAA vor allem eins: Verzicht.

Weniger ist nicht mehr viel

Verzicht auf die Renner aus Maranello oder Turin, auf Automobile für Frankophile, auf Koreaner (bis auf Hyundai) und Japaner (bis auf Honda). Asiaten, die mit Maßband und scharfen Linsen vor allem deutschen Autos zu Leibe rücken, um deren Erfolgsgeheimnissen auf den Grund zu gehen? Das war ebenfalls gestern. Am Ende blieb auch der gewohnte Ansturm weg. Insgesamt 560.000 IAA-Besucher sind weniger, als der Internationale Automobil-Salon Genf in diesem Jahr verbuchte.

2019 wirkte die Messe wie ein Abgesang. Der VDA-Präsident Bernhard Mattes dankt ab, bevor es richtig losgeht. Klimaaktivisten steigen den Autos aufs Dach mit Forderungen für ein besseres Miteinander. Und die Medien berichten mehr von den Protesten als von sichtbaren Erfolgen (siehe unten). Viele Pressevertreter halten sogar nur diese Proteste für die Erfolge.

Hybrid passt für alle(s)

Doch technischen Fortschritt gab es auf breiter Front – und mehr als man zu träumen gewagt hätte. Die Hersteller setzen allesamt auf Elektromobilität. Oder besser: auf Hybride der nächsten Generation. Elektromotoren machen hier dem Verbrenner Beine und unterstützen den Benziner gerade bei niedrigen Touren, wo er sich sonst eher schlapp zeigt. Sie lassen aber auch immer mehr emissionsfreie Kilometer zu, etwa für die Fahrt durch die Stadt.

Für die meisten muss ihr Auto weiterhin Alleskönner sein: zu jeder Tages- und Jahreszeit zur Arbeit, samt Kindern und Gepäck in den Urlaub oder am Wochenende schnell zur Oma aufs Land fahren. Da beruhigt es eben, wenn anders als bei E-Autos noch ein Verbrenner an Bord ist, um rechtzeitig wieder daheim zu sein. Das macht Plug-in-Hybride zu einem ein All-inclusive-Angebot für den Alltag.

Elektro-Wunsch versus Wirklichkeit

Quo vadis, individuelle Mobilität? Es scheint auf Vielfalt herauszulaufen, nicht auf Einfalt. Einfältig wäre die Fokussierung auf nur eine Technologie. In den Pressekonferenzen, Talkrunden und Expertenkreisen dominiert zur Zeit der Stromer (fast) alles. Die Zulassungsstatistik spiegelt das nicht wider.

Am Stammtisch und hinter vorgehaltener Hand auch in Journalistenzirkeln wird Skepsis formuliert: Wie soll das alles gehen? Wo wird der Strom erzeugt? Wie bekomme ich ihn in die Batterie, wenn ich in der dritten Etage im Altbau wohne und mein Auto um die Ecke parkt? Und wie viele Wall-Boxen verträgt die Tiefgarage in einem neuen Wohnkomplex?

Diesel lebt, das E noch im Kleinen

E-Mobilität, so scheint es, bleibt zunächst elitär. Da müssen erst die Wohlhabenderen und die Enthusiasten ran, die über den Mehrpreis hinwegsehen. Dann kann sich die Technik etablieren und günstiger werden. Unter anderem beim ID.3 von VW (unten, Bild 1) verdeutlicht das ein Aspekt: Im Autoquartett von früher wäre „E-Reichweite“ heute eine veritable Kategorie. Sie schlägt alles und schlägt ins Kontor. Denn wer viel von ihr haben will, wird zur Kasse gebeten (so wie traditionell bei den PS).

Ein Fahrzeug für die breite Masse ist ein solches Auto ebenso wenig wie der neue und bestimmt gute Corsa-e von Opel (Bild 2). Denn dessen Verbrenner-Pendant kann alles preiswerter und ist ebenfalls sehr genügsam. Vor allem als – pardon – Diesel: CO2-mäßig im Tiefflug, Stickoxide kaum nachweisbar und Feinstaub so gut wie eliminiert bei der Euro-6d-Norm. Von der Öffentlichkeit fast unbemerkt, erlebt der Selbstzünder eine kleine Renaissance. Weil Kunden eben rechnen (müssen), Erfahrungen haben und bei einer solchen Anschaffung nicht so einfach Aktivisten- und Talkrunden-Credos folgen (können).

Der SUV wird zum Sündenbock

In der öffentlichen Diskussion gewinnt man oft den Eindruck, dass technische Lösungen per se keine Lösung mehr sein können, dass Ingenieure nur noch „gefährliche Stadtpanzer-SUVs“ konstruieren. Fakt bleibt jedoch, dass vor allem in Deutschland die Zahl der stark motorisierten SUVs verschwindend gering ist. Sozial verträgliche und praktische Modelle befinden sich hingegen klar in der Überzahl und sind sogar unterdurchschnittlich oft an Unfällen beteiligt. Das Bashing hat Methode, und jede Gelegenheit wird zum perfiden „Argumentieren“ gegen das Auto genutzt. Postulat etwa nach dem tragischen Unfall mit Todesopfern in Berlin: SUVs raus aus der Stadt. Wenn aber der Faktor Gewicht entschiede, müssten auch Stadtbusse weichen, weil sie zu schwer und massig daherkommen und eine Gefahr für Fußgänger darstellen können. Sogar Stromer scheiden nach dieser Logik aus, denn diese bringen wegen ihrer großen Batterien in jedem Pkw-Segment mit am meisten auf die Waage.

Klug teilen

Zulieferer von A wie Aisin Seiki bis Z wie ZF sind auf Zukunft eingestellt, betrachten die Mobilität als Ganzes. Ihre Ingenieure arbeiten engagiert an einer besseren, umweltgerechten Welt. Unisono sah und hörte man als IAA-Besucher, dass die Notwendigkeit für nachhaltige Lösungen, vernetzte Technologien und intelligente Verkehrskonzepte verstanden ist.

Und der Rückzug auf Tretroller und Liegefahrrad? Wenn deren Fahrer je nach Bedarf die Straße oder den Gehweg nutzen, rote oder grüne Ampeln lediglich als Farbenspiel betrachten, dann grenzt das zuweilen an Anarchie. Ihre Knautschzone ist die Vorsicht der Autofahrer, so der bissige Kommentar des Chefredakteurs von „auto motor und sport“.

Das freie Spiel der Kräfte und die Rolle rückwärts sind jedenfalls nicht geeignet, das soziale, ökonomische und letztlich ökologische Klima zu verbessern. Herstellern und Zulieferern ging es auf der Messe um die Balance der verschiedenen Verkehrsträger – und darum, den verfügbaren Verkehrsraum bestmöglich zu nutzen und zu schonen. Dazu bedarf es Intelligenz, auch künstlicher. Wenn Autos „verstehen“ lernen, wenn sich die Infrastruktur auf die verschiedenen Mobilitätsangebote einstellt, dann weicht das Gegeneinander einem Miteinander.

Kommunizieren statt konfrontieren

Das könnte auch beispielgebend für eine moderne Messe werden: Sie muss sich von einer Ausstellung zu einem Dialogforum wandeln, verschiedene Mobilitätsansätze aufzeigen und alle Player mit ins Boot holen. Und sie muss vor allem zeigen, wie Kunden und Nutzer von den neuen Ansätzen profitieren. Zuversicht in neue Technologien bietet sich als Leitmotiv doch viel stärker an als der Verzicht.

 

Den Klimawandel für einen Klimawandel nutzen, diese Lehre ließe sich aus der IAA 2019 ziehen. Die AUTO BILD, eher nicht als autofeindlich bekannt, bringt für die Zukunft eine IMA ins Gespräch. Das stünde für Internationale Mobilitätsausstellung: ein Schaufenster der individuellen Fortbewegung mit Ideen und Konzepten von morgen.

Autor

Norbert Giesen

Freier Automobiljournalist,

Kommunikationsberater

E-Mail: info@wortwerkstatt.de

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